aufgeschrieben von Christine Damm nach einer Schilderung von Dieter Zander
Die harten kalten Winter der Nachkriegsjahre ließen den Borsdorfer Schwanenteich regelmäßig zufrieren. So war das Eislaufen den Kindern und Jugendlichen der Umgebung ein großes Vergnügen. Nach der Schule wurden die Schlittschuhe, sogenannte „Schraubendampfer“, angeschnallt und ab ging es aufs Eis. Zwei selbstgebaute Tore waren schnell aufgestellt, dann wurde Eishockey gespielt. „Wir waren eislaufbesessen!“, erzählt der 86-jährige Dieter Zander aus seiner Jugendzeit.
In den Winterferien 1949/50 kam es zu jenem folgeschweren Ereignis. Der damals 13 Jahre alte Schüler war mit Fritz Naumann (Sohn des Gastwirtsehepaares Paul und Else Naumann vom Borsdorfer „Rosenschlößchen“) am Neuen Schwanenteich verabredet. Auf dem Weg zu diesem weiter hinten gelegenen Teich, es muss um die Mittagsstunde gewesen sein, hörte Dieter plötzlich Hilferufe. Ein kleineres Kind war etwa 20 m vom Uferweg entfernt, wo das Wasser besonders tief war, in die Eisfläche eingebrochen. Vergeblich versuchte der Junge, sich aus dem Loch zu befreien. Keiner war in der Nähe und Fritz hatte sich wohl verspätet. Dieter musste schnell handeln. Er robbte bäuchlings auf dem Eis zu dem verzweifelt Kämpfenden, reichte ihm seine Hand und zog ihn vorsichtig aus dem eiskalten Wasser. Dann rutschten sie gemeinsam zurück zum Ufer. „Ich setzte mein eigenes Leben aufs Spiel. Aber daran denkt man in so einem Moment nicht.“, so Dieter Zander heute. Er rettete damit Bernd Hachmeister, dem 6-jährigen Sohn einer alteingesessenen Borsdorfer Familie, das Leben.
So schnell sie konnten, rannten die beiden Kinder zu Bernds Elternhaus, gleich rechts neben dem Viadukt (heute Althener Str. 10). Als Belohnung für seine mutige Lebensrettung schenkte ihm die dankbare Mutter 20 Mark und ein Tierbuch, welches Herr Zander bis heute aufbewahrt hat.
Wie konnte es zu dem Unglück kommen?
Nun, es gab ja damals noch keine Kühlschränke. Zur Kühlung von Lebensmitteln und Getränken verwendete man Eisblöcke, die beim sogenannten Eismann gekauft werden konnten. Um Geld zu sparen, hackte der Wirt vom Gasthaus „Rosenschlößchen“ ein viereckiges Loch von ca. 3×3 m in den festgefrorenen Teich, um mit dem entnommenen Eis sein Fassbier am Zapfhahn zu kühlen. Durch das vom Hacken entstandene und überfrorene Splittereis war das Wasser darunter nicht mehr zu sehen und das ahnungslose Kind brach unter der dünnen Eisdecke ein. Ohne Dieter Zander wäre der 6-Jährige im eiskalten Wasser jämmerlich ertrunken.
Schnell verbreitete sich die Kunde vom Geschehen am Schwanenteich im Ort und auch in der Schule. Der mutige Helfer erhielt aber nicht etwa die Lebensrettermedaille, sondern durfte „als Auszeichnung“ seinem Rektor Karbaum zu dessen Geburtstag gratulieren und ihm als Schülervertreter einen Blumenstrauß überreichen.
Noch einmal kam das Schicksal ins Spiel.
Anfang der 1950er Jahre siedelten Hachmeisters in den Westen in die Nähe Bonns über. Bernd absolvierte dort eine Juristenausbildung. Vierzig Jahre später zog es ihn jedoch zurück nach Borsdorf, um sich hier eine Niederlassung als Rechtsanwalt aufzubauen. Auch für die Borsdorfer Gemeinde arbeitete er. „Ich suchte ihn im Rathaussaal zu einer seiner dortigen Sprechstunden auf. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, begrüßte er mich freudig rufend mit: ‚Mein Lebensretter‘!“ berichtet Herr Zander, als wäre es gestern gewesen. Bernd Hachmeister hatte es all die Jahre über nicht vergessen. Dieter war inzwischen längst verheiratet mit seiner Christa, der Tochter von Max und Frieda Siebert, der Gaststättenbesitzer vom „Feldschlößchen“ in der Leipziger Str. 46. Das Schicksal wollte es, dass unter dem Rechtsbeistand eben dieses damals „Geretteten“ in den 1990er Jahren eine Rückübertragung von Haus und Grundstück an die Nachkommen der Familie Siebert (heute Zander) erwirkt werden konnte. Das Ehepaar Zander wohnt noch heute in der Oberetage von Christas Geburtshaus. In die Gaststuben im Erdgeschoß hielten seitdem unterschiedliche Betreiber Einzug.
Dieter Zanders Geschichte von der Lebensrettung aus dem Eis inspirierte die in Leipzig wirkende diplomierte Künstlerin Andrea Garcia Vasquez. Sie gestaltete ein Kunstwerk für das Borsdorfer Schwanenteichfest am 2. Juli 2022 in Form eines auf dem Teich schwimmenden runden Acrylspiegels mit dem Wortausschnitt „Gerettet“.